Donnerstag, 04 April 2013 19:21

Was kommt nach '7 Tagen Sex'?

Der Fernsehsender RTL ist derzeit nicht nur auf den Bildschirmen deutscher Wohnzimmer, sondern auch auf den Titelseiten deutscher Zeitungen sehr präsent. "7 Tage Sex" verspricht für den Zuschauer nicht nur interessante Einblicke in fremde


Schlafzimmer, sondern auch den Mitwirkenden kostenlose "Paartherapie" durch eine aktivere Sexualität. Wer die eingeschlafene Sexualität als Problemfeld in seiner Partnerschaft erkannt hat, kann sich derzeit bei RTL bewerben und hoffen, dass sich der widerspenstige Partner oder die widerspenstige Partnerin vor laufender Kamera nicht mehr so einfach verweigern kann wie in der Vergangenheit. Und sicherlich ist auch der eine oder andere RTL-Zuschauer nicht abgeneigt, die eigene Partnerschaft endlich durch eine Intensivdosis Sex zu kurieren.

Das Konzept zu dieser Sendung stammt aus den Vereinigten Staaten, heißt dort "7 Days of Sex" und wurzelt tatsächlich in einem paartherapeutischen Ansatz, der in insbesondere den USA wachsende Beachtung findet und darauf abzielt, die Nähe zwischen den Partnern durch körperliche Nähe (auch Sexualität) zu fördern. Die Grundidee dabei ist, dass Partner, die sich körperlich wieder näher kommen, dadurch lernen, ihre Ängste, ihr Unbehagen, ihre Wut voreinander abzulegen und sich wieder mehr zu vertrauen. Haben sich zwei Menschen wiederholt so verletzt, dass sie sich nicht mehr nah sein wollen, so besitzt die Einsicht allein, dass und wie Verletzungen entstanden sind, nur in seltenen Fällen die Kraft, diese Verletzungen auch zu heilen. Gemeinsame Aktivitäten, bei dem sich die Partner wieder - auch körperlich - näher kommen, unterstützen diesen Prozess, wenn beide die Entscheidung getroffen haben, es künftig besser zu machen und wieder (oder erstmals überhaupt) an einem Strang zu ziehen.

Was in der Theorie und in der paartherapeutischen Praxis ein erfolgreicher Ansatz sein kann, besitzt in der Umsetzung einer werbetauglichen und zeitbegrenzten Fernsehsendung naturgemäß Schwächen und lässt außer Acht, dass menschliche Sexualität und insbesondere sexuelles Begehren ein komplexer Prozess ist, der von unterschiedlichen, ineinander greifenden Faktoren abhängt. Eine Partnerschaft in all ihren Facetten ist mit einem Ökosystem vergleichbar, in dem einzelne Bestandteile individuell auf das Gesamtsystem einwirken. "7 Tage Sex" zeigt sogar Teile des Ökosystems der beteiligten Paare, erklärt dem Zuschauer aber nicht, dass eine unbefriedigende sexuelle Beziehung einen fast unvermeidlichen Entwicklungsschritt von Paarbeziehungen im Allgemeinen darstellt und welche individuellen "Umweltverschmutzungen" dazu führen, dass das gezeigte Paar in seiner Paarbeziehung an einem toten Punkt angelangt ist. Statt den Mitwirkenden Hilfestellung bei der Bewältigung ihrer individuellen Entwicklungsaufgaben zu geben, zwingt man zwei Menschen in ein Bett, die das vielleicht garnicht wollen und froh sind, wenn die Woche mit dem Fernsehteam endlich vorüber ist.

Ein Mangel an sexuellem Verlangen oder eine eingeschlafene Paarsexualität ist nicht mit "7 Tagen Sex" zu kurieren, denn sie besitzt Ursachen, die sich nicht einfach dadurch beheben lassen, dass man ein Paar mit einem Camcorder in seinem Schlafzimmer einsperrt. Für fehlendes sexuelles Interesse sind unter anderem als Ursachen bekannt:

Das sexuelle Begehren ist Teil des zwischenmenschlichen Kommunikationssystems. Den Partner sexuell zu begehren oder nicht zu begehren, kann eine wichtige Botschaft in sich tragen, die mit Sexualität eigentlich nichts zu tun hat. Die Ablehnung dessen, was der Partner sagt oder tut, lässt sich durch sexuelle Verweigerung unter Umständen so ausdrücken, dass sie versteckt ist und dadurch akzeptabel wird. Wenn sich mein Partner wie ein Idiot verhält, wage ich vielleicht nicht, ihn direkt zu kritisieren, aber mit sexueller Verweigerung lässt sich die Kritik in eine Form verpacken, die sich viel schwerer greifen lässt und sogar gesellschaftlich akzeptiert ist.

Sexuelles Begehren ist Ausdruck unseres Wunsches nach Bindung. Wenn ein Mensch seinen Partner wiederholt verletzt hat, es vielleicht immer noch tut und nicht einsehen kann oder einsehen will, dass er mit seinem Verhalten die Partnerschaft auf eine harte Probe stellt, dann beginnt beim Partner ein innerer Ablösungsprozess, der sich oftmals in Seitensprüngen, Affären oder schlichter sexueller Verweigerung äußert.

Sexuelles Begehren wird nicht durch schlechten Sex genährt, sondern durch Erotik. Erotik aber lebt vom Neuen, Aufregenden und Intimen. Wenn das, was mein Partner mir im Bett antut, einfallslos, leidenschaftslos oder gar verletzend ist, werde ich derartigen sexuellen Begegnungen möglichst aus dem Weg gehen. Viele sexuelle Begegnungen in deutschen Schlafzimmern verlaufen nach einem destruktiven Muster, das nicht geeignet ist, die Partner aneinander zu binden. Guter Sex ist gut für Dich. Schlechter Sex ist schlecht für Dich und kann im schlimmsten Fall zu schweren psychischen Erkrankungen führen.

Was bleibt nach "7 Tagen Sex"? Beim Zuschauer die unbeantwortete Frage, welche Schlüsse er für seine eigene Beziehung aus diesem Experiment ziehen soll und was tatsächlich dahinter steckt. Bei den Feuilletonisten das gute Gefühl, es vorher gewusst zu haben, sollten die Einschaltquoten weiterhin hinter den Erwartungen zurückbleiben. Beim Sender eine zusätzliche Erkenntnis, welche Sendungen sich in welcher Form mit welchen Werbeeinnahmen platzieren lassen. Und bei den mitwirkenden Paaren sicherlich die interessante Erfahrung, an diesem Selbstversuch teilgenommen zu haben, die Erkenntnis, dass 7 Tage Beischlaf die Probleme ihrer Paarbeziehung nicht dauerhaft zu lösen vermögen und die Einsicht, dass das wahre Leben vielleicht noch etwas komplizierter ist, als es das Drehbuch vorsieht.

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